Dr. Hansueli Albonico ist Arzt in der Schweiz, einem Land, das medizinische Vielfalt im Gesundheitssystem verankert hat. Der DZVhÄ sprach mit dem Präsidenten der Union schweizerischer komplementärmedizinischer Ärzteorganisationen über einen Meilenstein in der Komplementärmedizin.

Herr Albonico, der 16. Juni 2017 war ein wichtiger Tag für die Komplementärmedizin in der Schweiz. Was ist passiert?

Wir freuen uns sehr, dass in der Schweiz ein weiterer Durchbruch in der Umsetzung unserer Volksinitiative „Ja zur Komplementärmedizin“ gelungen ist. Die klassische Homöopathie ist neben der anthroposophischen Medizin, der traditionell chinesischen Medizin und der Phytotherapie eines der medizinischen Felder, die in der Schweiz zur Diskussion stehen. Nun hat der Gesamtbundesrat am 16. Juni 2017 beschlossen, dass eben diese vier komplementärmedizinischen, ärztlichen Methoden definitiv in die Grundversicherung der Schweiz aufgenommen bleiben.

Sprechen wir hier von einer zeitlichen Begrenzung des Beschlusses?

Nein, der Beschluss ist ausdrücklich unbegrenzt. Die Aufnahme dieser komplementärmedizinischen Methoden in die Grundversicherung war in den letzten Jahren bis Ende 2017 befristet. Wir waren in Ungewissheit, ob die Anstrengung aller Beteiligten wirklich zum Durchbruch führen würden, aber es ist gelungen.

In Deutschland behaupten viele Medien, es gäbe nicht ausreichend wissenschaftliche Evidenz für die Homöopathie. Jetzt kommt die Schweiz und nimmt eben diese Heilmethode in die Grundversicherung auf. Wie verlief der Dialog mit der Wissenschaft in der Schweiz?

Das war sehr spannend. Der Dialog hat sich jetzt über 20 Jahre erstreckt und war die Nahtstelle zwischen Wissenschaft und Politik. Wir kennen das aus der Klimadebatte – es ist nicht einfach. Aber hier hat uns die direkte Demokratie schon sehr geholfen. Wir konnten nicht nur die Volksinitiative ins Leben rufen, zur Abstimmung bringen und eine Zweidrittelmehrheit erreichen, sondern auch einen zusehend fruchtbaren und ergebnisreichen Dialog mit allen Playern entfalten. In den letzten anderthalb Jahren fanden die Gespräche dann innerhalb eines Expertenkomitees statt.

Wer war Teil des Komitees?

Da waren zum einen Vertreter der Komplementärmedizin aber auch des Departements des Innern, speziell des Gesundheitsdepartements, sowie Vertreter der Schweizer Universitäten, Vertreter der schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften, der Versicherer und auch Patienten. Gemeinsam haben wir es in wirklich guten Sitzungen geschafft, die wissenschaftliche Evidenz, die durchaus vorhanden ist, in ganz konkreten Anpassungen umzusetzen. Die Ausführung fand dann unter den gesetzlichen Vorgaben des Kranken- und Versicherungsgesetzes statt. Auch die komplementärmedizinischen Methoden müssen der Wissenschaftlichkeit Genüge tun und den WZW-Nachweis – Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit – erbringen.

Dann sehen Sie in der Schweiz genau diese Punkte in Bezug auf die Homöopathie erfüllt?

Richtig. Mit heutigem Beschluss des Bundesrates wird bestätigt, dass die Wirksamkeit wie auch die Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit genügend operationalisiert worden sind, sodass die Aufnahme in die soziale Grundversicherung weiterhin gewährleistet werden kann.

Es gibt in der Wissenschaft die sogenannten RCTs, doppelblind-kontrollierte Studien, die als Goldstandart in der evidenzbasierten Medizin gelten. RCTs können jedoch nicht abbilden, welchen therapeutischen Nutzen Patienten unter medizinischen Alltagsbedingungen von einer Methode haben. Daten aus der Versorgungsforschung können das leisten, und diese belegen einen therapeutischen Nutzen der Homöopathie in der medizinischen Praxis. Hat die Versorgungsforschung in Ihren wissenschaftlichen Debatten eine Rolle gespielt?

Ja. Die Versorgungsforschung hat in den letzten 20 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen. Es war spannend zu sehen, wie sich das entwickelt hat. Ursprünglich sprach man einfach von Wirksamkeit und RCTs. Dann auch vermehrt von Nutzen und der Frage: „Wie definiert man Nutzen?“, bis sich dann zunehmend die Frage nach der Versorgungsforschung entwickelte. In der Versorgungsforschung geht es ja darum, wieder den Patienten und den Arzt zum Outcome – also zu den Ergebnissen unter Alltagsbedingungen – zu befragen. Das ging durch die randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudien verloren.

Wie sehen Sie die Studienlage – auch im Vergleich zur konventionellen Medizin?

Wir haben die gesamte Literatur in der Geschichte des Prozesses mehrmals gesichtet. Am Anfang stand eine sechsjährige, sechs Millionen schwere PEK-Übung – ein Programm Evaluation Komplementärmedizin. Später kamen weitere Studien hinzu. Wir haben gesehen, dass auch die klassische Homöopathie selbstverständlich über Studien verfügt. Es nicht so, dass hier keine Studien vorhanden wären, selbst kontrollierte Studien sind da. Aber gleichzeitig hat man auch zur Kenntnis nehmen müssen und zu Kenntnis genommen, dass auch die Schulmedizin bei weitem nicht alles über die harten Kriterien, Level A, der evidenzbasierten Medizin macht. Beispielsweise sind die amerikanischen Guidelines für Kardiologie gerade mal zu höchstens 20 Prozent evidenzbasiert.

Welche Aufgaben warten jetzt auf Sie?

Es geht jetzt vor allem darum, dass die vier in die Grundversicherung der Schweiz aufgenommenen, komplementärmedizinischen, ärztlichen Methoden an den Universitäten adäquat vertreten sein müssen. Da besteht Nachholbedarf.