Die Homöopathie ist umstritten und ihr Leitmotiv, Ähnliches mit Ähnlichem zu heilen, polarisiert die Gemüter. Derzeit findet auch in zahlreichen fachfremden Medien eine Debatte um den wissenschaftlichen Wert der Homöopathie statt. Im Fokus steht dabei meist nicht der Nutzen, den Patienten von der Anwendung homöopathischer Arzneien haben, sondern die Frage nach der Konsistenz des wissenschaftlichen Erklärungsmodells.

Homöopathie auf dem Prüfstand
[Der folgende Artikel ist ein „Reprint“. Er wurde erstmals in der Zeitschrift „Die Naturheilkunde“ 6/2010 veröffentlicht.]

Wissenschaft hat „viele Wahrheiten“

Es ist eine durchaus verlockende Versuchung, eine in der Wissenschaft akzeptierte Theorie als objektive Wahrheit zu nehmen und aufgrund dieser seine Entscheidungen zu treffen, die dann logisch zwingend ebenfalls objektiv und richtig wären. Die Politik bedient sich gerne dieser Methode, die aber bedauerlicherweise mit dem Manko behaftet ist, dass sie bereits im Kern einen Irrtum enthält. Wer glaubt, dass die Wissenschaft objektive Erkenntnisse und damit Gesellschaft und Politikern „die eine Wahrheit“ als Entscheidungsgrundlage bereitstellen kann, täuscht sich über die Möglichkeiten der modernen Wissenschaft. Nicht allein anhand der Homöopathieforschung lässt sich zeigen, dass die Wissenschaft und ihre Ergebnisse sehr heterogen, sogar widersprüchlich sein können.

HTA-Bericht des Schweizer PEK

So existieren durchaus mehrere als objektive Wahrheiten getarnte Meinungen nebeneinander in einem einzelnen Forschungsbereich. Unmittelbar deutlich wird dies an den unterschiedlichen renommierten Experten, die in Bezug auf die Wirksamkeit der Homöopathie gegensätzliche Ansichten vertreten: „Die Wirksamkeit der Homöopathie kann unter Berücksichtigung von internen und externen Validitätskriterien als belegt gelten, die professionelle sachgerechte Anwendung als sicher.“ Zu diesem Fazit kommt beispielsweise ein im Rahmen des Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK) vom Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz durchgeführtes Health-Technology-Assessment (HTA). Diese umfassende Untersuchung des BAG verfolgte das Ziel, Grundlagen über die Wirksamkeit, Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit der ärztlichen Komplementärmedizin zu liefern.

IQWiG-Chef Jürgen Windeler

Ganz anders als das Schweizer BAG sieht es dagegen etwa das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), dessen Chef, Prof. Dr. Windeler, deutliche Worte findet: „Ein medizinischer Nutzen der Homöopathie ist nicht bewiesen. Dazu muss man auch gar nicht mehr weiterforschen, die Sache ist erledigt“.

Zankapfel Potenzierung

Der wesentliche Streitpunkt zwischen Homöopathen und Schulmedizinern ist bereits seit der Begründung der Homöopathie der Kernaspekt der Potenzierung – also der Verdünnung und Verschüttelung homöopathischer Arzneien.

Fakt ist: Bisher kann kein naturwissenschaftliches Modell den Wirkmechanismus von sogenannten Hochpotenzen, in denen kein Molekül der Ausgangssubstanz mehr nachweisbar ist, gänzlich erklären. Dies gilt, auch wenn Effekte potenzierter Arzneien bereits in Laborversuchen nachgewiesen wurden. In der mitunter hitzig geführten Debatte zwischen den Befürwortern der Homöopathie und ihren Gegnern wird das fehlende Erklärungsmodell häufig zum Vorwurf genutzt, die Homöopathie müsse eine Placebomedizin sein, weil sie keine wissenschaftlich rundum saubere Theorie vorzuweisen habe. Diese Ansicht ist – unabhängig vom Gegenstand der Betrachtung – falsch, da sie gegen formal-logische Prinzipien verstößt. Der Umstand, dass bis dato kein mit dem heutigen Stand der Wissenschaft zu vereinendes, in sich schlüssiges Erklärungsmodel gefunden wurde, beweist nicht die Unwirksamkeit der Homöopathie. Salopp formuliert: Die Schwerkraft war bereits in Kraft, noch bevor Newton eine umfassende Theorie nachlieferte. Indes beweist ein fehlendes Modell natürlich auch nicht die Wirksamkeit der Homöopathie, es beweist zunächst einmal gar nichts.

Klinische Forschung und Versorgungsforschung

Die moderne klinische Forschung konzentriert sich nahezu ausschließlich auf die Wirksamkeit der homöopathischen Arzneimittel, wobei dann die Rolle der Anamnese oder die Art und Weise, wie man das homöopathisch passende Arzneimittel findet, in der Regel ausgeblendet wird. In einem reduktionistischen Ansatz wird meist das Gesamtpaket der homöopathischen Behandlung in Einzelteile zerlegt, deren Effekte losgelöst von den anderen Teilen bewertet werden. Dass Homöopathie jedoch mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile, zeigt sich in der täglichen ärztlichen Praxis, der Patientenzufriedenheit und nicht zuletzt an dem Zulauf von Ärzten, die sich homöopathisch ausbilden lassen. So hat sich die Zahl homöopathisch ausgebildeter Ärzte von 1995 (rund 3.000) bis heute (über 7.000) mehr als verdoppelt. Für die einen ist dies ein Zeichen für die Verblendung des ärztlichen Berufsstandes, für die anderen die schlüssige Durchsetzung einer funktionierenden Heilmethode.

Den Gegensatz zum reduktionistischen Forschungsansatz findet man in der sogenannten Versorgungsforschung. Dieser Forschungsbereich untersucht per Definition die Versorgung von Patienten unter Alltags- und Praxisbedingungen. Hier findet die Homöopathie als ganzheitliche Heilmethode Berücksichtigung. In der Versorgungsforschung gilt die Wirksamkeit der Homöopathie selbst unter Kritikern als belegt. Neben dem bereits erwähnten Schweizer HTA-Bericht gibt es dazu einschlägige Studien der Charité Berlin sowie einiger Krankenkassen.

Insgesamt zeigt die Versorgungsforschung, dass die Homöopathie in der Praxis effektiv wirkt und dabei kostengünstiger ist als schulmedizinische Verfahren. Eine homöopathische Praxis verursacht demnach nur die Hälfte der Kosten einer durchschnittlichen Grundversorgungspraxis, homöopathisch behandelte Patienten müssen seltener stationär behandelt werden, nehmen weniger teure Spezialbehandlungen in Anspruch und leiden weniger an Nebenwirkungen von Arzneimitteln als konventionell behandelte Patienten. Hinzu kommt, dass die Homöopathie bei chronisch kranken Patienten im direkten Vergleich mit der Schulmedizin „signifikant stärkere Besserungen“ (Aussage aus der Modellstudie Homöopathie der IKK Hamburg) erreichen kann.

Akzeptanz in der Bevölkerung

Vor dem Hintergrund unterschiedlicher Sichtweisen verwundert es nicht, dass in Forscherkreisen hitzige Diskussionen über die Homöopathie entstehen. Meist handelt es sich dabei um fachlich niveauvolle Debatten, die im Elfenbeinturm der Wissenschaft geführt werden und für Patienten kaum relevant oder verfügbar sind. Dementsprechend konsequent ignoriert das Gros der Bevölkerung diese Streitgespräche und bildet sich nach dem Motto „wer heilt, hat Recht“ eine eigene Meinung. Rund ein Viertel der deutschen Bevölkerung sind dabei „überzeugte Verwender“ homöopathischer Arzneimittel und ohne Einschränkung von deren Wirksamkeit überzeugt. Zwei Prozent der Bevölkerung halten homöopathische Arzneien für unwirksam. Insgesamt verwenden 57 Prozent der Deutschen homöopathische Arzneimittel (Allensbach-Umfrage 2009).

Homöopathie auf dem Prüfstand

Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage spielt die Berichterstattung für die „überzeugten Verwender“ eine sehr untergeordnete Rolle: 98 Prozent von ihnen gaben an, dass kritische Berichterstattung ihr Vertrauen in die Homöopathie nicht schmälert. Daraus könnte die naheliegende Schlussfolgerung gezogen werden, dass eine direkt erlebte Heilerfahrung für einen Menschen mehr Gewicht hat als jeder noch so sachkundige intellektuelle Zugang zur Heilmethode.

Laborversuche ergründen Wirksamkeit von Potenzen

Auch wenn Patienten in der Regel mehr an der Wirkung von homöopathischen Arzneien als an einem konsistenten Erklärungsmodell gelegen ist, mangelt es nicht an Versuchen, die Beobachtungen zur Homöopathie in eine tragfähige Theorie zu überführen. Es scheint jedoch, als bestünde zwischen der Physik und der Homöopathie ein grundsätzlicher Widerspruch, der sich in etwa wie folgt formulieren lässt: Wenn die hoch verdünnten und verschüttelten homöopathischen Arzneien – also die Potenzen – tatsächlich wirksam sind, so ist die heutige Physik in weiten Teilen unrichtig oder aber zumindest inkonsistent.

Diese Überlegung ist für alle Potenzen oberhalb einer D 23 interessant. Bei dieser Potenzierungsstufe wurde die Ausgangssubstanz im Verhältnis 1:10 verdünnt und verschüttelt, die entstandene Lösung wiederum 1:10 verdünnt und verschüttelt, und diese Prozedur 23-mal wiederholt. In einer D 23 ist die ursprüngliche Arznei also in einem Verhältnis von 1:10²³ gemischt. Physikalisch betrachtet ist laut Avogadroscher Zahl kein einziges Molekül der Ausgangssubstanz mehr vorhanden, jede substanzspezifische Wirkung ist somit ausgeschlossen. Dennoch lässt sich eine Wirkung – auch jenseits der Placebotheorie – beobachten. (Anmerkung der Redaktion: siehe hierzu den einschränkenden Beitrag „Homöopathische Hochpotenzen enthalten Nanopartikel der Ausgangssubstanz“.) Die Auffindung des den potenzierten Arzneien zugrundeliegende Wirkmechanismus würde wohl eine Revolte, vielleicht sogar eine Revolution in der modernen Physik auslösen – und hätte gute Chancen auf den Nobelpreis.

Homöopathisches Verständnis vom Prozess der Potenzierung

Dr. Samuel Hahnemann, Begründer der Homöopathie, beschreibt es in den §269 und §270 des Organon der Heilkunst so: „Die homöopathische Heilkunst entwickelt zu ihrem besondern Behufe die innern, geistartigen Arzneikräfte der rohen Substanzen mittels einer ihr eigenthümlichen Behandlung. Durch diese Bearbeitung wird bewirkt, daß die, im rohen Zustande sich uns nur als Materie darstellende Arzneisubstanz, sich endlich ganz zu geistartiger Arznei-Kraft subtilisieret und umwandelt.“ (sic!)

Im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungsreihe Organon 2010 zum 200 Jubiläum des Organon der Heilkunst, wurde sich auch mit der Potenzierungsforschung auseinandergesetzt. Sowohl für Homöopathen als auch für Physiker stellt die Grundlagenforschung, deren Ziel es ist, die grundlegenden Wirkmechanismen aufzuklären, ein reizvolles Themengebiet da.

Baumgartner

Ein Experte in Sachen Potenzierungsforschung ist Dr. Stephan Baumgartner, Physiker und Dozent des Kollegialen Instituts für Komplementärmedizin (IKOM) der Universität Bern, der in Leipzig Ergebnisse seiner Untersuchungen vorstellte.

„Ich bin kein Homöopath, ich bin Physiker“, stellte Baumgartner zu Beginn seiner Ausführungen über Laborversuche mit homöopathischen Potenzen klar. Er untersuchte u. a. den Effekt von potenzierten Wachstumshormonen auf Wasserlinsen und Zwergerbsen oder die Wirkung von potenziertem Arsen auf mit Arsen vergifteten Weizen. „Wir konnten wiederholt Effekte homöopathischer Potenzen im Labor beobachten“, erklärte Baumgartner den rund 70 Gästen mit zahlreichen Diagrammen und stellte dabei fest: „Je komplexer der Organismus, desto deutlicher ist die Reaktion auf Homöopathika.“ Die Wirkung nehme demnach von Zellkulturen und Mikroorganismen über Pflanzen und Tiere bis hin zum Menschen weiter zu. Außerdem ergaben Modelle „im Ungleichgewicht“, also mit kranken oder gestressten Organismen, deutlichere Resultate als Modelle mit gesunden Organismen. Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse forscht Baumgartner nun weiter unter der Arbeitshypothese: „Homöopathie ist eine Informationstherapie“, da eine materielle Erklärung der Wirkung bei Potenzen ausgeschlossen sei. Warum er sich derart für die Homöopathieforschung interessiere, beantwortete der Schweizer abschließend mit dem Zitat eines Berufskollegen, dem Berliner Physiker Professor Martin Lambeck: „Aus dem Umstand, dass ich ein Phänomen nicht erklären kann, schließe ich nicht, dass es nicht existiert, sondern nur, dass seine Existenz geprüft werden sollte, um dem Fortschritt der Wissenschaft zu dienen.“

Studien der Versorgungsforschung belegen die Wirksamkeit ärztlicher Homöopathie:

Becker-Witt C, Lüdtke R, Weißhuhn TER, Willich SN. Diagnoses and treatment in homeopathic medical practice. Forsch Komplementärmed Klass Naturheilkd 2004;11:98-103.

Witt C, Lüdtke R, Baur R, Willich SN. Homeopathic medical practice: Long-term results of a cohort study with 3981 patients. BMC Public Health 2005;5:115.

Witt C, Lüdtke R, Willich SN. Effect Size in Patients Treated by Homeopathy Differ According to Diagnosis – Results of an Observational Study. Perfusion 2005;18:356-360.

Witt C, Keil T, Selim S, Roll S, Vance W, Wegscheider K, Willich SN. Outcome and costs of homeopathic and conventional treatment strategies: A comparative cohort study in patients with chronic disorders. Compl Ther in Med 2005;13:79-86.

Forschung am Institut für Sozialmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie der Charité

Weitere Informationen zu den Veröffentlichungen und eine Studienübersicht zur Homöopathieforschung unter: www.cam-quest.org

HTA-Bericht zur Homöopathie: Schlussbericht des Programm Evaluation Komplementärmedizin (PEK)  des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) in der Schweiz.

Grundlagenforschung zu Effekten von homöopathischen Potenzen:

Grundlagenforschung Homöopathie, Institut für Komplementärmedizin, Universität Bern

Jäger T, Scherr C, Wolf U, Simon M, Heusser P, Baumgartner S: Investigation of Arsenic-Stressed Yeast (Saccharomyces cerevisiae) as a Bioassay in Homeopathic Basic Research  ScientificWorldJournal 2011;11:568-583.

Jäger T, Scherr C, Simon M, Heusser P, Baumgartner S: Effects of homeopathic arsenicum album, nosode, and gibberellic acid preparations on the growth rate of arsenic-impaired duckweed (Lemna gibba L.). ScientificWorldJournal 2010;10:2112-2129.

Baumgartner S, Shah D, Schaller J, Kämpfer U, Thurneysen A, Heusser P: Reproducibility of dwarf pea shoot growth stimulation by homeopathic potencies of gibberellic acid. Complementary Therapies in Medicine 2008;16:183-191.

Scherr C, Simon M, Spranger J, Baumgartner S: Effects of potentised substances on growth rate of the water plant Lemna gibba L. Complement Ther Med 2009;17:63-70.

Lahnstein L, Binder M, Thurneysen A, Frei-Erb M, Betti L, Peruzzi M, Heusser P, Baumgartner S: Isopathic treatment effects of Arsenicum album 45x on wheat seedling growth–further reproduction trials. Homeopathy 2009;98:198-207.

Scherr C, Baumgartner S, Spranger J, Simon M: Effects of Potentised Substances on Growth Kinetics of Saccharomyces cerevisiae and Schizosaccharomyces pombe. Forschende Komplementärmedizin 2006;13:298-306.

Guggisberg AG, Baumgartner S, Tschopp CM, Heusser P: Replication study concerning the effects of homeopathic dilutions of histamine on human basophil degranulation in vitro. Complementary Therapies in Medicine 2005;13:91-100.

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