Wenn Fachleute die Wirkung der Homöopathie diskutieren, wird immer wieder gefragt: „Wo sind die Heilerfolge?“. Aber ein homöopathischer Heilerfolg sieht in der Praxis manchmal ganz anders aus als ein schulmedizinischer. Die Schulmedizin betrachtet Krankheiten – die Homöopathie betrachtet Menschen.

Homoeopathie Schulmedizin Vergleich

Foto: ©iStockphoto.com/Brian Jackson

Eigentlich wäre es eine einfache Angelegenheit, eine Statistik über homöopathische Heilerfolge zu bekommen: Homöopathen dokumentieren ihre Fallaufnahmen und Gespräche mit den Patienten sehr akribisch. Doch jeder Homöopath legt für seine Heilerfolge eigene Maßstäbe an. Und in der Schulmedizin wird im Gegensatz zur Homöopathie grundsätzlich nur die Heilung einer einzelnen Krankheit betrachtet.

Zunächst muss der Begriff „Heilerfolg“ definiert werden. In der ganzheitlichen, konstitutionellen (oder chronischen) Behandlung streben die klassischen Homöopathen ja nicht nur die Heilung einer einzelnen Beschwerde oder medizinisch definierten „Krankheit“ an, sondern eine Heilung bzw. Besserung auf allen Ebenen (Körper, Geist und Emotionen). Damit setzen sich die meisten Homöopathen ein weit komplexeres Ziel als der konventionelle Arzt.

Erfolgsquoten in der Homöopathie:
Was wird da gemessen?

Eine Reihe von Homöopathen geben ihren Erfolg so an: in etwa 1/3 voller Erfolg, 1/3 Teilerfolg, 1/3 Misserfolg. Andere geben an, eine Erfolgsquote von ca. 80% oder mehr zu haben. Aber was bedeutet dies? Was wird gemessen? In welchem Zeitraum? Geht es um eine einzige Verschreibung? Einige Homöopathen werten einen Erfolg erst dann, wenn sie ein homöopathisches Mittel gefunden haben, das ihrem Patienten in allen chronischen und akuten Beschwerden über Jahre hinweg hilft, ohne Mittelwechsel. Andere verschreiben mehrere Mittel innerhalb von wenigen Wochen. Manche werten bereits etwas Linderung als Erfolg. Ein einheitliches Bewertungsschema gibt es bislang nicht.

Die Praxis zeigt: Heilung ist nicht gleich Heilung

Fall 1:

Ein Mann kommt wegen Psoriasis in die Praxis. In der Fallaufnahme stellt sich heraus, dass er zudem unter Ängsten, depressiven Zuständen, Obstipation und Schlafstörungen leidet. Nach einem Jahr Behandlung sind die depressiven Zustände und Ängste verschwunden, die Schlafstörungen nahezu, die Obstipation vollständig, die Hautprobleme sind etwas besser, treten aber immer wieder auf. Auch reagiert die Haut kaum auf die Gaben des homöopathischen Mittels. Für die konventionelle Medizin wäre das vielleicht ein Teilerfolg oder sogar ein Misserfolg, der Homöopath und der Patient werden dies ganz subjektiv aber als ziemlich erfolgreiche Behandlung einstufen.

Fall 2:

Ein Baby kommt mit Windeldermatitis in die Praxis. Kurze Zeit nach der Mittelgabe ist die Windeldermatitis verschwunden, allerdings leidet das Kind nach wenigen Wochen schon zum dritten Mal unter einer Bronchitis. Die konventionelle Medizin würde dies als vollen Erfolg werten, in der Homöopathie kommt dieser Verlauf einer kleineren Katastrophe gleich: Die Symptome wurden nur unterdrückt, an deren Stelle treten nun schwer wiegendere Beschwerden auf.

Fall 3:

Ein 5-jähriges Kind kommt wegen Enuresis (Einnässen) in die Praxis. Nach der ersten Verschreibung wird das Einnässen besser, allerdings sind die schon früher vorhandenen aber nicht erwähnten Ängste in den Vordergrund getreten. Nach der zweiten Verschreibung sind die Ängste besser, aber das Kind fängt an schlafzuwandeln und nässt wieder ein. Nach der dritten Verschreibung sind sowohl die Ängste, als auch Einnässen und Schlafwandeln kein Thema mehr. Welche Verschreibung wird gewertet? Der konventionelle Mediziner hätte vermutlich (angenommen es gäbe ein Medikament gegen Einnässen) nach der ersten Verschreibung aufgehört. Diese „neuen“ Ängste hängen für ihn ja nicht unbedingt mit dem Einnässen zusammen und gehören in einen anderen Fachbereich.

Um überhaupt ein Bild davon zu bekommen, ob der Patient gesund oder krank ist, muss die Schulmedizin anfangen den gesamten Gesundheitszustand des Menschen zu betrachten und nicht nur einige isolierte Symptome.

Geht es einem Patienten nach und während einer medizinischen Behandlung (z. B. intensive Cortisontherapie) insgesamt schlechter als vorher, so müsste dieser Behandlungsansatz überdacht werden, auch wenn eine Krankheit dadurch zunächst „geheilt“ wäre. Als grobe Richtlinie für die Einschätzung von Fallverläufen kann die aus der Homöopathie bekannte Hering’sche Regel dienen.

Selbst die WHO definiert Gesundheit als „[…] ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“ An dieser Definition sollte sich die schulmedizinische Behandlung ebenso wie die Homöopathie messen lassen. Denn Heilung ist nichts anderes als die Wiederherstellung der Gesundheit.

Doch im Gesundheitswesen gibt es keine Stelle, die den gesamten Gesundheitszustand des Patienten erfasst und dessen Verlauf kontrolliert. Selbst der Hausarzt kennt in der Regel nur einen Ausschnitt der Probleme seiner Patienten.

Was bleibt zu tun? Die Homöopathen benötigen ein einheitliches Bewertungssystem für ihre Fallverläufe und müssen einsehen, dass statistische Werte für einen Vergleich unumgänglich sind. Und die Hausärzte benötigen mehr Zeit, um den ganzheitlichen Gesundheitszustand ihrer Patienten zu erfassen und zu verfolgen. Beide Seiten sollten sich an die eigene Nase fassen und ihre Therapien zum Wohle der Patienten verbessern.

Über:

Andra Dattler ist staatlich geprüfte Heilpraktikerin und klassische Homöopathin, geboren 1972 in München, Mutter von zwei Kindern.
www.andra-dattler.de

Lesetipps:

Dr. Gerd B. Achenbach (2011), Pluralismus in der Medizin: Wahrheit als Verschiedenheit, Dtsch Arztebl 2011; 108(3): A 98–101
x
Buelent Erdogan-Griese (2011), Schulmedizin und Alternativmedizin: der Dialog hat begonnen, Rheinischen Ärzteblatt, Januar 2011

Beitragsbild: ©Pixabay