Was bedeutet Anamnese in der Homöopathie?
Die Anamnese ist der erste und zentrale Schritt einer homöopathischen Behandlung. Sie dient dazu, ein möglichst umfassendes Bild der aktuellen Beschwerden, der Krankengeschichte und der individuellen Reaktionsweise eines Menschen zu gewinnen.
Im Unterschied zu einer rein symptomorientierten Befragung steht dabei nicht allein die Diagnose im Vordergrund, sondern die individuelle Ausprägung der Beschwerden.
Ziel der homöopathischen Anamnese ist es, jene Informationen zu erfassen, die für die Auswahl eines individuell passenden homöopathischen Arzneimittels erforderlich sind.
Unterschiede zur konventionellen Anamnese
Auch in der konventionellen Medizin bildet die Anamnese die Grundlage jeder Behandlung. Sie ist dort jedoch häufig stärker auf die Zuordnung von Symptomen zu einer definierten Erkrankung ausgerichtet.
In der Homöopathie wird darüber hinaus besonderer Wert gelegt auf:
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die genaue Beschreibung der Beschwerden
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individuelle Begleitsymptome
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persönliche Reaktionsmuster
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Veränderungen im Vergleich zum gesunden Zustand
Diese Aspekte ergänzen die medizinische Diagnostik, ersetzen sie jedoch nicht.
Wie läuft eine homöopathische Anamnese ab?
Der Spontanbericht
Zu Beginn schildert die Patientin oder der Patient die Beschwerden möglichst frei und zusammenhängend. Dabei geht es nicht um eine strukturierte Abfrage, sondern um eine ungestörte Darstellung dessen, was als belastend oder auffällig erlebt wird.
Gezielte Befragung
Im Anschluss vertieft der behandelnde Arzt oder die Therapeutin einzelne Aspekte durch gezielte Fragen. Dabei werden unter anderem erfasst:
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Art und Qualität der Beschwerden
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zeitlicher Verlauf
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Auslöser und begleitende Umstände
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Faktoren, die zu einer Besserung oder Verschlechterung führen
Erhebung weiterer Informationen
Je nach Situation fließen zusätzlich Informationen ein zu:
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Schlafverhalten
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Appetit und Durst
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Temperaturempfinden und Schweißneigung
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emotionalem Befinden
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allgemeinen Reaktionen des Organismus
Bei chronischen Erkrankungen spielen auch länger zurückliegende Entwicklungen, familiäre Erkrankungen und frühere Behandlungen eine Rolle.
Das vollständige Symptom
In der homöopathischen Anamnese wird nicht nur das Hauptsymptom betrachtet, sondern dessen vollständige Ausprägung. Dazu gehören:
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Lokalisation der Beschwerden
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subjektive Empfindung (z. B. brennend, stechend, krampfartig)
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begleitende Symptome
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zeitliche oder situative Abhängigkeiten
Diese Kombination ermöglicht eine differenzierte Einschätzung der individuellen Krankheitsausprägung.
Von der Anamnese zur Mittelwahl
Die im Gespräch gewonnenen Informationen bilden die Grundlage für die anschließende Repertorisation und die Auswahl eines homöopathischen Arzneimittels. Dabei werden die individuellen Symptome mit bekannten Arzneimittelbildern verglichen.
Die Anamnese ist somit kein Selbstzweck, sondern ein strukturierter Prozess, der auf eine nachvollziehbare und begründete Mittelwahl abzielt.
Dauer und Rahmen
Eine homöopathische Erstanamnese nimmt in der Regel deutlich mehr Zeit in Anspruch als ein routinemäßiger Arztbesuch. Die Dauer variiert je nach Fragestellung und Krankheitsbild und kann zwischen einer und mehreren Stunden liegen.
Folgeanamnesen sind in der Regel kürzer und dienen der Beobachtung des Verlaufs sowie der Anpassung der Behandlung.
Einordnung und weiterführende Perspektiven
Die homöopathische Anamnese ist Teil eines umfassenden ärztlichen Vorgehens und wird je nach individueller Situation durch konventionelle Diagnostik ergänzt.
Eine weiterführende ärztliche und wissenschaftliche Einordnung zur Rolle der Anamnese, zur Diskussion um Placeboeffekte und zur Wirksamkeit individualisierter Homöopathie finden Sie im Beitrag von Dr. Ulf Riker.
