Interview mit Prof. Dr. med. Jürgen Pannek, Chefarzt Neuro-Urologie, Paraplegie-Zentrum, Nottwil, Schweiz

Prof. Dr. med. Jürgen Pannek veröffentlichte im Journal of Spinal Cord Medicine seine neueste Studie mit dem Titel Usefulness of classical homeopathy for the prophylaxis of recurrent urinary tract infections in individuals with chronic neurogenic lower urinary tract dysfunction. Die Studie wurde im Februar 2018 auch online veröffentlicht und kann hier eingesehen werden.

„Wir konnten zeigen, dass die Anzahl der Harnwegsinfekte durch eine homöopathische Therapie deutlich reduziert wurde“

Herr Pannek, sind rezidivierende Harnwegsinfekte bei Querschnittgelähmten ein häufiges Problem?

Ja, Harnwegsinfekte sind bei Querschnittgelähmten ein häufiges Problem. Sie verursachen Symptome, welche die Betroffenen stark belasten können, wie Fieber, Krämpfe, Schmerzen oder Inkontinenz. Unsere Harnblase wird vom Nervensystem gesteuert. Bei einer Rückenmarkverletzung wird diese Nervenverbindung zwischen Hirn und Blase unterbrochen, eine willkürliche Kontrolle der Blase ist meist nicht mehr möglich. Daher leiden nahezu alle Personen mit einer Querschnittlähmung an einer Blasenfunktionsstörung. Da die Blase nicht mehr normal entleert werden kann, müssen Hilfsmittel, wie zum Beispiel Einmalkatheter benutzt werden, die man sich selber zum Entleeren der Blase mehrfach täglich einführt. Durch den Gebrauch dieser Fremdkörper steigt das Risiko einer Harnwegsinfektion deutlich.

Wie werden sie üblich behandelt?

Die Standardbehandlung der Harnwegsinfekte ist eine Therapie mit Antibiotika. Zunächst wird im Labor getestet, gegen welches Antibiotikum die Bakterien empfindlich sind; mit diesen Medikamenten werden die Infekte für ca. sieben Tage behandelt. Da Menschen mit Querschnittlähmung häufig Harnwegsinfekte entwickeln, müssen sie oft Antibiotika einnehmen. Daher steigt das Risiko, zunehmend Resistenzen gegen Antibiotika zu entwickeln, das heisst, die Medikamente sind nicht mehr wirksam.

In einer neuen Studie haben Sie untersucht, ob die Homöopathie eine Therapieoption sein könnte. Bitte stellen Sie uns diese Studie vor.

In unserer Studie haben wir getestet, ob durch eine klassisch homöopathische Behandlung eine Verminderung der Anzahl von Harnwegsinfekten erreicht werden kann. Dazu haben wir Patienten in zwei Gruppen eingeteilt. Eine Gruppe erhielt eine Standardprophylaxe, die andere Gruppe erhielt zusätzlich zu dieser Standardprophylaxe eine homöopathische Behandlung. Die Patienten beider Gruppen dokumentierten ein Jahr lang, wie viele Harnwegsinfektionen sie hatten. Dazu erhielten sie Urin-Teststreifen und einen Fragebogen, den sie regelmässig ausfüllten und an uns zurück schickten. Nach einem Jahr wurden die Anzahl der Infekte und die Zufriedenheit mit der Therapie ausgewertet. Darüber hinaus wurden die Patienten befragt, wie viele Harnwegsinfekte sie im Studienzeitraum wahrgenommen haben. Die Anzahl der Harnwegsinfektionen im Jahr der Behandlung wurde mit der Anzahl der Infekte im Jahr zuvor, ohne Behandlung, verglichen. Die Häufigkeit der Infektionen im Vorjahr war in den Krankengeschichten der Patienten dokumentiert.

Welche Ergebnisse hat die Studie gebracht?

Während in der Gruppe der Patienten ohne Homöopathie die Infektrate unverändert blieb, sank sie bei den homöopathisch behandelten Teilnehmenden von neun auf zwei Infekte pro Jahr. Die Zufriedenheit mit der homöopathischen Behandlung war hoch.

Wie bewerten Sie die Studie?

Wir konnten erstmals in einer prospektiven Studie zeigen, dass die Anzahl der Harnwegsinfekte durch eine homöopathische Therapie reduziert werden konnte, während die Infektfrequenz ohne homöopathische Therapie unverändert blieb. Wie alle klinischen Studien hat auch unsere Studie Schwachpunkte. Zum Beispiel war es sehr schwer, die Patienten der Kontrollgruppe, also ohne Homöopathie, dazu zu motivieren, für ein Jahr an der Studie teilzunehmen. Daher waren die beiden Gruppen am Ende nicht gleich groß und unterschieden sich in der Anzahl der Harnwegsinfekte zu Beginn der Studie. Leider gibt es aber in der klinischen Forschung keine ideale Zusammensetzung der untersuchten Gruppen. Meiner Ansicht nach spiegelt die Studie die Situation im klinischen Alltag wieder und kann trotz der genannten Einschränkungen klar zeigen, dass die homöopathische Therapie bei den Patienten effektiv wirksam gewesen ist.

Fotos: Schweizer Paraplegiker-Stiftung