Roland Baur ist Internist und homöopathischer Arzt in Berlin. Als Lehrbeauftragter für Komplementärmedizin arbeitet er am Universitätsklinikum Charité Berlin. In seiner Praxis behandelt er auch Patienten mit metabolischem Syndrom (tödliches Quartett).

Herr Baur, Sie sind Internist und Homöopath. Ist das kein Gegensatz?

Wieso? Ich kann doch ohne medizinisches Wissen keine Homöopathie betreiben, also  geht das für mich sehr gut zusammen. Das Gemeinsame ist, daß wir es mit einer ärztlichen Tätigkeit zu tun haben. Um dieser Tätigkeit nachkommen zu können, sind die homöopathischen Ärzte – das wird gelegentlich vergessen – mit demselben Wissen ausgesgtattet wie ihre schulmedizinischen Kollegen.  Ich beziehe mich als Internist und Homöopath auf die gleiche Anatomie, Propedeutik, Krankheitslehre. Die Homöopathie erlaubt mir aber ein zusätzliches Begreifen des Patienten und andere Therapieoptionen. Man könnte grundsätzlich sagen, daß die Homöopathie ein großes medizinisches Wissen bewahrt, welches sich zusammen mit den besonderen, zu lernenden Werkzeugen,  komplementär zur konventionellen Medizin verhält. Daraus ergibt sich eine sowohl-als-auch-Situation, die für den Patienten nur hilfreich sein kann.

In welchen Bereichen der Inneren Medizin kommt die Homöopathie zum Einsatz?

Grundsätzlich ist die Homöpathie bei allen Inneren Erkrankungen hilfreich und anwendbar. Ausnahmen ergeben sich, wenn wir es mit zerstörten Organen zu tun haben und Supplementierungstherapien nötig sind. In meiner Praxis habe ich häufig mit Erkrankungen der Verdauungsorgane zu tun, mit Infektionserkrankungen und Tumorerkrankungen.

Wie unterscheidet sich das Vorgehen eines homöopathischen Arztes bei der Feststellung eines metabolischen Syndroms?

Zunächst ist es eine ärztliche Aufgabe, ein metabolisches Syndrom festzustellen. Die vier relevanten Konstituenten – Übergewicht, Bluthochdruck, Insulinresistenz und veränderte Blutfettwerte – sind dabei  zu beachten. Bis hierhin unterscheidet sich das Vorgehen  nicht. Der homöopathisch ausgebildete Arzt wird  dann aber sein Augenmerk auch  auf  eventuell bestehende Heilungshindernisse  lenken, die gerade beim metabolischen Syndrom von Wichtigkeit sind.

Was sind die besonderen Herausforderungen bei der homöopathischen Behandlung eines metabolischen Syndroms? Wie gehen Sie mit den multifaktoriellen Ursachen um?

Ein Problem ist, dass die Glukosetoleranzstörung, Diabetes Typ 2, für die Homöopathie nur schwer zugänglich ist. Es ist auch kein Gewebeschaden wie beim Typ 1.  Es ist vielmehr eine Veränderung der Insulinrezeptoren beispielsweise an den Muskelzellen.  Auch der Bluthochdruck ist nicht gerade eine leichte Aufgabe für einen homöopathischn Arzt.  Wenn sich aber der Patient  darauf einlässt und die gemeinsam erarbeiteten Korrekturvorschläge  bezüglich  seiner Lebensweise berücksichtigt,  kann der Patient eine erhebliche und messbare Erleichterung  erfahren. Eine Fastenkur kann zum Beispiel den Prozess unterstützen. Der Patient nimmt ab, gewinnt Beweglichkeit und  wieder eine freundlichere Eigenwahrnehmung.

Macht der Patient erste Fortschritte, kann der psychische Hintergrund des metabolischen Syndroms auftauchen. Das sind dann günstige Gegebenheiten für eine homöopathische Therapie. Die Gesundung entwickelt sich dann „von Innen“ und wird nachhaltig.

Schwierig wird es bei Patienten, die eine Therapie von außen einfordern nach dem Motto: Gib mir  was und dann ist gut. Kurz gesagt: Lebensänderung versus ACE-Hemmer. Es  scheint für den Patienten einfacher, ein solches Medikament einzunehmen. Eine nachhaltige Gesundung wird aber damit nicht erreicht.

Was sind die Vorteile, Homöopathie bei einem metabolischen Syndrom zu nutzen?

Ein Vorteil ist die intensive Exploration mit der dafür nötigen Zeit. Das ist aber kein Schmusekurs, den der homöopathische Arzt nach dem Motto betreibt: Zuwendung reicht schon. Es ist die Durchleuchtung dessen, was krankmachend auftauchen kann in Bezug auf die Lebensführung. Das war ja eines der großen Anliegen Hahnemanns: Er hat bei seinen Patienten immer nach Heilungshindernissen gesucht, ja, es wird berichtet, daß er mit der Therapie gar nicht erst begonnen habe, wenn der Patient nicht bereit war, Heilungshindernisse zu beachten. Homöopathische Ärzte sind streng.

Wie können Sie ein metabolisches Syndrom mit Sprache behandeln?

Ein Syndrom, kann man sagen, ist eine Anhäufung von Zeichen und Symptomen. Es gibt für mich eine ganz aktuelle Definition des Begriffs Symptom:  Ein Symptom ist das Substitut einer hysterischen Sprachlosigkeit. Ganz konkret heißt das: Wenn ein Mensch beispielsweise in die Fettleibigkeit gerät, spricht  er damit  sprachlos. Das Symptom ersetzt die Sprachlosigkeit, es ist ein Appell an sich und an seine Mitmenschen. Und so habe ich mit einer Anamnese eine ganze Fülle von Möglichkeiten, den  Hintergrund zu erkennen, und eine passende homöopathische Arznei zu finden.

Die Gesundheit ist das Schweigen der Organe. Im Umkehrschluss heißt dass, die Organe beginnen zu reden, wenn sie Symptome entwickeln. Jeder Patient hat darüber ein Mitteilungsbedürfnis. Und plötzlich tauchen die Hintergründe auf und können behandelt werden. Wichtig scheint mir jedoch, dass der homöopathische Arzt sich bei der Therapie an der Gesamtheit der „nackten“ Symptome orientiert und nicht an Vorurteilen und Interpretationen gleich welcher Art.

Können etwa konventionelle Medikamente durch die Homöopathie zu Teilen oder ganz ersetzt werden?

Eine homöopathische Therapie kann  eine konventionelle Therapie sinnvoll begleiten. Sie kann diese aber auch komplett ersetzen. Ich befinde mich nicht in einer Therapiepflicht nach den Vorgaben der konventionellen Medizin, da ich auch homöopathische Therapieoptionen zur Verfügung habe. Grundsätzlich gilt für mich, daß die Therapie zum Wohle des Patienten ausgerichtet sein soll. Da es ja hier  um das metabolische Syndrom geht, können wir uns nochmals die Therapie des Bluthochdrucks ansehen. Das ist auch für die konventionelle Therapie ein schwieriges Gelände. Der morgendliche Initiale Systolische Hochdruck ist z.B. auf konventionelle Weise kaum therapierbar. Außerdem wurden die Richtgrößen beim Hochdruck jüngst von der amerkanischen Hochdruckliga nach oben korrigiert. Ein Ausweg aus dieser Problematik ist für mich der Versuch einer individuellen homöopathischen Therapie.  Das ist  nur erfreulich.

Gibt es homöopathische Globuli, die sich bei einem metabolischen Syndrom bewährt haben?

Nein, die gibt es nicht. Es gibt da kein Rezept nach dem Vorbild bewährter Indikationen.

Wie kann ich einem metabolischen Syndrom vorbeugen?

Bewegung ist wichtig (lacht). Und damit meine ich nicht die 180 Minuten Sport pro Woche, die in den Leitlinien für Diabetiker stehen. Richten Sie Ihre Wohnung so ein, dass Sie sich oft bücken, strecken, bewegen  müssen; nicht alles auf Knopfdruck. Sitzen Sie nicht zu lange, steigen Sie Treppen. Gehen Sie über Waldboden, damit sich Ihre Muskeln und Ihr Skelett bei jedem Schritt neu ausrichten müssen. Jeden Tag Fahrstuhl fahren – und dann in die Muckibude – bringt wenig.

Was ist Ihre persönliche Motivation, sich seit Jahrzehnten mit der ärztlichen Homöopathie in der Inneren Medizin auseinanderzusetzen und sie anzuwenden?

Ich war in der hämatologischen  Abteilung einer Universitätsklinik tätig.  Da bin ich unter anderem internistisch „groß geworden“. Im Zentrum der therapeutischen Betrachtungen  stand stets die chemische Wirkung der angewandten Medikamente. Nun mag es sich sehr simpel  anhören: Ich habe auch erfahren, daß sich Medizin nicht nur in Chemie und Technik erschöpfen kann – auch wenn das heute der Trend ist. Da kommt etwas hinzu,  was das Leben ausmacht. Und so begann ich, mich für die Homöopathie zu interessieren. So ist das bis heute.

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