Ein Kommentar von Dr. med Ulf Riker, Internist / Homöopathie, München

Berlin, 21.10.2022. Kürzlich habe ich zufällig die Internetseite eines Start-Up-Unternehmens gesehen, das Apps für den Medizinbereich programmiert: Wissen schafft Profit, hieß es da sinngemäß, es wird also ganz ungeniert damit geworben, dass sich auf dem Markt der medizinischen Möglichkeiten sehr viel Geld verdienen lässt. Das ist nicht neu: gehören doch fast 40 Prozent aller Kliniken in Deutschland  inzwischen zu Gesundheits-„Konzernen“, in denen medizinische Ziele mit ökonomischen Vorgaben konkurrieren. So weit so unabänderlich.

Ohne Zweifel möchte kein vernünftiger Mensch wertvolle Errungenschaften der modernen Medizin missen. Aber das eine ist der wissenschaftliche Erkenntnisfortschritt (der natürlich seinen Preis hat!), und das andere die technische und strukturelle Umsetzung in Praxis und Klinik (die kritisch hinterfragt werden darf!).

Therapie-Leitlinien zum Beispiel: sie sind hilfreich, um auf dem Boden sorgfältig analysierter Studien schnell und nachvollziehbar zu Diagnose- und Therapieentscheidungen zu kommen. Aber wie Vieles in unserer realen Lebenswelt hat auch diese Münze zwei Seiten: ihren praxisrelevanten Vorteilen stehen  Gefahren gegenüber, dann nämlich, wenn moderne Technologien sich dieser Leitlinien eines Tages bemächtigen, wenn die Künstliche Intelligenz dazu führt, dass sich wissenschaftliche Ergebnisse zu Therapie-Algorithmen wandeln, und wenn diese dann nicht mehr von Ärztinnen und Ärzten, sondern von Computern abgerufen werden. Sowohl ärztliche Erfahrung als auch menschliche Empathie wären dann überflüssig, wegrationalisiert. Denkbares Szenario: als Patient loggen Sie sich bei „SmartDoc“ ein, füttern den Rechner mit Ihren Symptomen, Vorerkrankungen und ggf. den Medikamenten, die Sie derzeit einnehmen, und – Simsalabim – erhalten Sie Ihre Diagnose, Therapieempfehlung und ein elektronisches Rezept. Jetzt müssen Sie nur noch die Tabletten einnehmen wie verordnet, und wenn Alles gut geht, sind Sie nach kurzer Zeit wieder symptomfrei und arbeitsfähig. Vielleicht! Ob Sie jetzt wirklich wieder gesund sind, kann Ihnen „SmartDoc“ natürlich nicht sagen, das merken Sie am besten selbst…

Ein arg überspitztes Beispiel? Im Gegenteil! Denn nun kommt die Homöopathie ins Spiel. Deren Gegner, die sogenannten „Skeptiker“ haben enge personelle Verflechtungen mit Weltanschauungs-Gemeinschaften (z.B. die Giordano-Bruno-Stiftung), die auf dogmatische Weise einen radikalen Materialismus vertreten:  Mensch und Natur sind komplexe „Maschinen“, die auf dem Boden wissenschaftlich fundierter Techniken repariert werden können, wenn sie nicht funktionieren, wie sie sollen. Für „Skeptiker“ ist auch Atomenergie die einzig vertretbare Lösung im Kampf gegen zu viel CO2, oder die Gentechnik alleinige Lösung des Welthungerproblems. Homöopathie passt in dieses Weltbild selbstverständlich nicht, weil angeblich wissenschaftlich nicht zu begründen. Lässt man sich auf diese Weltanschauung ein, dann landet man früher oder später auch bei den eher gruseligen Perspektiven der Transhumanisten, die von einer Verschmelzung von Mensch und Maschine träumen… – dann lässt sich der implantierte Chip direkt von „SmartDoc“ lesen und menschlicher Wille und Spiritualität haben ebenso ausgedient wie ärztliche Erfahrung und menschliche Nähe.

Homöopathie ist auf menschliche Nähe, Zuhören und Empathie ebenso angewiesen wie eine Pflanze auf Boden, Wasser und Licht. Menschenbild und Krankheitsverständnis der Homöopathie stehen einer materialistischen Weltanschauung mit Alleinvertretungsanspruch diametral gegenüber.

Vor diesem Hintergrund ist der Kampf der Homöopathie-Gegner nur Teil einer weit größeren weltanschaulichen Auseinandersetzung und Homöopathie nur ein besonders leichtes „Opfer“. Unsere Aufgabe als aufgeklärte Menschen ist es, vorausschauend diese Zusammenhänge zu erkennen und uns zur Wehr zu setzen gegen die schleichende Unterwerfung unseres Menschseins unter die Diktatur eines auf die Spitze getriebenen Materialismus.

Welche Medizin also wollen wir? Homöopathische Ärzt:innen und Heilpraktiker bekämpfen nicht die Errungenschaften der modernen Medizin, aber sie vertreten und verteidigen einen therapeutischen Methodenpluralismus, in dessen Zentrum nicht eine Weltanschauung, sondern der Mensch als Individuum steht: mit all seinen Variationen, konstitutionellen Eigentümlichkeiten, sozialen Prägungen oder spirituellen Neigungen. Mit Ängsten und Nöten, Bedürfnissen nach Anerkennung oder Trost, mit Wünschen nach Nähe oder Distanz, mit Herz und Verstand und dem freien Willen, wie sie oder er im Krankheitsfalle behandelt und begleitet werden möchte. Medizin muss – will sie eine menschliche sein – dies alles berücksichtigen, mit Respekt vor dem anders Denkenden und Fühlenden, mit Demut in Anbetracht unserer Begrenztheiten und mit klarem Blick für das Notwendige und Mögliche.