Martina Bunge - DIE LINKE

DZVhÄ: Eine Allensbach-Studie zeigte 2009, dass mehr als die Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland selbst schon einmal homöopathische Mittel verwendet hat (53 Prozent). Erhebungen von Krankenkassen sprechen sogar von 68 Prozent. Die besonderen Therapierichtungen spielen im Gesundheitssystem allerdings eine nur untergeordnete Rolle. Werden Sie sich des Themas annehmen und die Homöopathie als komplementäre Methode politisch unterstützen?

Bunge: Komplementäre Heilmethoden und insbesondere die Homöopathie genießen in weiten Teilen der Bevölkerung Sympathie. Grundsätzlich kann jede Patientin und jeder Patient sich die für sie bzw. ihn passende Heilmethode und die Behandelnden frei auswählen. Die LINKE steht für diese Wahlfreiheit und wird sich politisch für ihren Erhalt einsetzen. Die Politik kann aber weder bewerten, welche Heilbehandlung im Einzelfall die richtige ist, noch wie aus wissenschaftlicher Sicht die einzelnen Therapierichtungen beurteilt werden. Wir stehen dafür, dass alle Methoden, die ihren patientenrelevanten Nutzen unter Beweis gestellt haben, ohne zusätzliche Gebühren den Menschen zur Verfügung stehen müssen. Dafür muss nachgewiesen sein, dass sich die Lebensqualität, die Morbidität und/oder die Mortalität aufgrund einer Behandlung verbessern. Wir sind daher dafür, alle Heilmethoden auf Basis ihres Nutzens gleich zu behandeln.

DZVhÄ: Evidence based Medicine (EbM) spielt in der konventionellen Arztpraxis eine nur untergeordnete Rolle. Warum werden Ihrer Meinung nach aber EbM-Regeln als Maßstab für die ärztliche Homöopathie herangezogen?

Bunge: EbM versucht vereinfacht formuliert herauszufinden, ob es kranken Menschen aufgrund einer Behandlung besser geht. Dieses Ziel vereint alle Heilmethoden. Alle Therapie-Richtungen sollten einer vorurteilsfreien Untersuchung ihrer Auswirkungen auf die Patientinnen und Patienten unterzogen werden. Dabei ist es wichtig, die Untersuchungsmethoden so auszugestalten, dass das Studiendesign nicht der Logik der Therapiemethode widerspricht, sondern tatsächlich praxisrelevante Ergebnisse hervorbringen kann. Daran hat es in der Vergangenheit bei der klinischen Erforschung der Homöopathie zum Teil gefehlt.

DZVhÄ: Es liegen zahlreiche positive Studien der unterschiedlichsten Designs zur Homöopathie vor. Weitere Forschung ist aber nötig. Werden Sie sich für die öffentliche Förderung der Forschung in diesem Gebiet einsetzen?

Bunge: Jährlich fordert die Linksfraktion mehr Geld im Bundeshaushalt für eine bedarfsgerechte unabhängige Forschung. Insbesondere bei Arzneimitteln, deren Erforschung keinen großen Gewinn erwarten lässt, versagen marktgesteuerte Forschungsanreize. Wie stimmen zu, dass weiterer Forschungsbedarf zur Homöopathie besteht und befürworten weitere öffentlich geförderte klinische Forschung dazu, vor allem Versorgungsforschung.

DZVhÄ: Haben Selektiv-Verträge mit Krankenkassen aus Ihrer Sicht eine Zukunft?

Bunge: DIE LINKE sieht Selektivverträge grundsätzlich kritisch. Nach unserer Auffassung sollte jedem Menschen eine hochwertige Gesundheitsversorgung zustehen. Da darf es keine Rolle spielen, in welcher Krankenkasse die bzw. der Betroffene versichert ist. Selektivverträge bewirken eine unterschiedlich hohe Behandlungsqualität und damit letztlich Zwei-Klassen-Medizin. Solche Auswirkungen lehnen wir strikt ab.

Wir sind der Meinung, dass in evaluierten Modellprojekten erforscht werden sollte, welche Maßnahmen tatsächlich die Versorgungsqualität erhöhen oder dieWirtschaftlichkeit verbessern. Diese sollten dann flächendeckend Eingang in die Versorgung finden und in ihrenWirkungen regelmäßig überprüft werden. Nur so kann eine gleichbleibend hohe Qualität gesichert und das Menschrecht auf bestmögliche Gesundheit gewährleistet werden.

DZVhÄ: Wenn es zur Bürgerversicherung kommt, wird die ärztliche Homöopathie dann Bestandteil sein?

Bunge: In einem Solidarsystem sind an die Bewertung von Heilmethoden besondere Anforderungen zu stellen. Die Solidargemeinschaft hat ein berechtigtes Interesse daran, dass nur Methoden angewandt werden, die sinnvoll sind. Wie in der Antwort auf Frage 1 ausgeführt, ist es nach unserer Ansicht für die Bewertung einer Methode nicht relevant, ob sie der schulmedizinischen oder komplementärmedizinischen Richtung angehört. Eine ideologische Sichtweise lehnen wir hier grundlegend ab.

In der linken solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung werden alle Leistungen erstattet, die medizinisch notwendig sind. Das heißt, allein der Bedarf und der Beleg des Patientennutzens sind Voraussetzung für die Einbeziehung in den Leistungskatalog. Den Nutzen einer Behandlung zu untersuchen ist Sache der medizinischen Wissenschaft, ihre Bewertung der des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesens (IQWiG) bzw. der Gemeinsamen Selbstverwaltung.

DZVhÄ: Es gibt in Deutschland ca. 10.000 rein privatärztlich niedergelassene Ärzte, davon praktizieren etwa 10 Prozent Homöopathie. Können sich alle Patienten im Rahmen einer Bürgerversicherung von diesen Ärzten behandeln lassen?

Bunge: Grundlage einer hochwertigen Versorgung für alle ist eine stabile, gerechte und verlässliche Finanzierung. Eine Studie weist nach: durch Einbeziehen aller Menschen und aller Einkommen kann der Beitragssatz um ein Drittel auf 10,5 Prozent gesenkt werden – trotz Abschaffung von Zuzahlungen und Zusatzbeiträgen und bei Übernahme aller medizinisch notwendigen Leistungen. Die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung bezieht die heute privat Versicherten ein.

Für eine hochwertige und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung werden viele der heutigen privatärztlich tätigen niedergelassenen Ärzte notwendig sein. Wenn die Homöopathie wissenschaftlich als sinnvoll für die Versorgung eingeschätzt wird, können die Versicherten alle qualifizierten Ärztinnen und Ärzte, die im Rahmen der Bürgerversicherung praktizieren, für eine homöopathische Behandlung in Anspruch nehmen.

DZVhÄ: Chronisch kranken Patienten – sie sind häufig schulmedizinisch austherapiert – kann der homöopathische Arzt zumeist helfen. Das zeigen die subjektiven Einschätzungen von Ärzten und Patienten und die objektiven Daten aus der Versorgungsforschung. Bezahlen muss der Patient die Therapie aber selber. Sollte die starre Abgrenzung der Homöopathie in der GKV nicht gelockert werden?

Bunge: Wie bereits ausgeführt steht DIE LINKE dafür, die unterschiedliche Behandlung der Homöopathieund anderer komplementärer Heilmethoden im Vergleich zur Schulmedizin nicht weiter fortzuführen. Unser Bemühen um eine hochwertige Versorgung verträgt sich nicht mit Vorurteilen und Scheuklappen. Wir haben daher die Versorgungsstudien an der Charitè zur Akupunktur begrüßt und auch, dass diese Studien zur Verordnungsfähigkeit der Akupunktur zulasten der GKV geführt haben. Wenn das Therapieverfahren keine klinischen Studien mit den höchsten Evidenzstufen zulässt, dann müssen andere Verfahren gefunden werden. Versorgungsstudien können dazu beitragen, ganzheitliche Verfahren zu erforschen und ihre Relevanz für die Gesundheitsversorgung festzustellen. Allerdings sind Daten aus der Versorgungsforschung allein nicht ausreichend, eine Behandlungsmethode zu bewerten.

DZVhÄ: Versorgungsforschung ist die einzige Forschung, die einen konkreten Bezug zum Praxisalltag hat. Ihre Ergebnisse haben aber einen nur geringen Stellenwert. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Bunge: DIE LINKE setzt sich für eine Stärkung der Versorgungsforschung ein. Zum einen muss sich eine Therapie, die in einer klinischen Studie mit all ihren Einschränkungen bezüglich der Verallgemeinerung ihren Nutzen gezeigt hat, in der Praxis beweisen. Zum anderen gehen die klinische Forschung und die Versorgungsforschung bei der Bewertung einer Therapiemethode Hand in Hand. Bei der Bewertung der Homöopathie kommt wie in Frage 7 erläutert, der Versorgungsforschung ein besonderer Stellenwert zu. Der Nachteil von Versorgungsforschung ist, dass die vielfältigen Faktoren, die Einfluss auf eine Behandlung nehmen können, kaum voneinander getrennt werden können und daher der Anteil von Therapieverfahren am Ergebnis aus dem Gesamtkontext nur schwer herauszulösen ist.

DZVhÄ: Wie können die ärztlichen Verbände aus der Komplementärmedizin Sie in Ihrer politischen Arbeit unterstützen?

Bunge: Ungefärbte Praxisberichte sind gerade in der Gesundheitspolitik von großer Bedeutung. Während für die anderen im Bundestag vertretenen Parteien eine niedrige Beitragshöhe die oberste Leitschnur für ihre Gesundheitspolitik ist, steht für DIE LINKE eine bestmögliche Versorgungsqualität für alle an jedem Ort an oberster Stelle.Wir nehmen jede Anregung dankbar auf, die in diese Richtung geht und unterstützen sie, wo wir können. Obwohl Parteien bzw. Fraktionen nicht in erster Linie Studien bewerten, sind wissenschaftliche Studien für unser politisches Handeln außerordentlich hilfreich. Ebenso sind Kenntnisse über den Umgang und dessen Entwicklung mit komplementärmedizinischen Verfahren in anderen europäischen bzw. westlichen Staaten wichtig.

DZVhÄ: Wer wird der nächste Gesundheitsminister?

Bunge: Die Gesundheitspolitik der der letzten zwanzig Jahre stand unter den Prämissen von Wettbewerb, Ökonomisierung und „privat vor Staat“. Der Einfluss des Parteibuchs der Gesundheitsministerin bzw. des Gesundheitsministers blieb überschaubar. Sowohl Rot-Grün als auch Schwarz-Gelb oder Schwarz-Rot haben die Versorgung verschlechtert, Leistungen gekürzt und die Belastungen der Patientinnen und Patienten erhöht. Jede Ministerin und jeder Minister braucht eine linke Opposition, damit die Patientinnen und Patienten, die Versicherten und die Beschäftigten auch im Parlament eine Stimme haben. Für DIE LINKE sind Gesundheit und Pflege Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge. Diese wollen wir stärken. Jede Politik in diese Richtung findet unsere Unterstützung. Einer weiteren Vermarktlichung treten wir entgegen. Gesundheit ist keine Ware.

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