Können hoch verdünnte und potenzierte Wirkstoffe einen arzneimittelspezifischen therapeutischen Effekt auslösen? Der wissenschaftliche Mainstream hielt diese Möglichkeit bisher für eher unwahrscheinlich, weil homöopathische Hochpotenzen keine pharmakologisch wirksamen stofflichen Bestandteile der potenzierten Ursubstanz mehr enthalten. Anders der Physiker Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner von der Universität Bern (IKOM). Er sieht durchaus eine Evidenz dafür, dass es solche Effekte tatsächlich gibt. Seine Forschungsgruppe publizierte 2010 und 2011 Ergebnisse von Experimenten mit Wasserlinsen. In diesen Untersuchungen zeigten Hochpotenzen einen homogenen, statistisch signifikanten und spezifischen Effekt, der in der Kontrollgruppe ausblieb. Im Gespräch mit Dr. med. Michael Teut erläuterte Baumgartner seine Experimente. Das folgende Interview mit Herrn Baumgartner dreht sich um die Frage, wie aussagekräftig die Wasserlinsen-Experimente sind und wie Homöopathie-Grundlagenforscher sicherstellen, dass ihre Messungen objektiv, reproduzierbar und valide sind.
Vorbemerkung: Das folgende Interview ist für eine Webseite dieser Art relativ lang und inhaltlich (speziell für Laien) anspruchsvoll. Es hat jedoch auch einen ganz besonderen Reiz: Dr. Stephan Baumgartner vermittelt einen tiefen Blick hinter die Kulissen der homöopathischen Grundlagenforschung:
Was motiviert einen Physiker, Hochpotenzen zu erforschen? Welche Eigenschaften müssen wissenschaftliche Experimente im Bereich der homöopathischen Grundlagenforschung haben, um objektive, reproduzierbare und valide Ergebnisse hervorzubringen? Was ist eine valide Messung? Was ist ein biologisches Testsystem? Warum hält es Dr. Baumgartner entgegen der Lehrmeinung durchaus für möglich, dass hoch verdünnte und potenzierte Wirkstoffe einen arzneimittelspezifischen therapeutischen Effekt auslösen können – auch bei Verdünnungen jenseits der Avogadro-Konstante?
Dies ist Teil 2 des Interviews mit Herrn Baumgartner. Teil 1 finden Sie über folgenden Link …
Teil 2 des Interviews mit dem Physiker Dr. Stephan Baumgartner
Wie sieht es mit der Erforschung von Effekten an Tieren und Pflanzen aus?
Dr. Stephan Baumgartner: Neben den schon diskutierten rein physikalischen Messungen und in vitro-Untersuchungen gibt es auch Studien zu Wirkungen von Homöopathika an Tieren und Pflanzen. Vera Majewsky et al. erstellten 2009 eine umfassende Übersichtsarbeit zum Thema, ob sich gesunde, das heißt nicht bewusst geschädigte Pflanzen als Untersuchungsmodell für homöopathische Präparate eignen.
Von den 86 identifizierten Studien gab es 15, welche die Effekte der homöopathischen Präparate mit verschüttelten Kontrollproben verglichen und dadurch prinzipiell geeignet waren, spezifische Effekte homöopathischer Präparate festzustellen. Alle diese Studien fanden Hinweise auf solche Effekte. Bei den Pflanzenstudien gab es aber im Gegensatz zu den in-vitro-Modellen nur sehr wenige Wiederholungsstudien, und es gab eine große Vielfalt an verschiedenen untersuchten Pflanzen und potenzierten Substanzen.
Ein generelles Problem solcher Übersichtsarbeiten ist der sogenannte Publication Bias, das heißt das Phänomen, dass Studien mit negativen Resultaten seltener publiziert werden als solche mit positiven Resultaten. Demzufolge besteht die Gefahr, dass Übersichtsarbeiten ein zu positives Bild eines Forschungsgebietes zeichnen. Inwiefern dieses Phänomen, welches bei klinischen Studien wohlbekannt ist, auch in der homöopathischen Grundlagenforschung zutrifft, ist eine noch völlig unbekannte und auch sehr schlecht abschätzbare Größe.
Ein großer Teil Ihrer Forschungsarbeit beschäftigt sich mit der Entwicklung von Testsystemen, die eine hohe methodische Qualität und valide Messungen ermöglichen sollen. Was kann sich ein Laie unter einem Testsystem für die Erforschung homöopathischer Hochpotenzen genau vorstellen?
Dr. Stephan Baumgartner: Ein solches Testsystem ist eine experimentelle Anordnung, in welcher möglichst schnell und kostengünstig zuverlässige Aussagen zu spezifischen Effekten hochverdünnter Homöopathika getroffen werden sollen. Ein solches Testsystem muss in einer Reihe von Vorversuchen entwickelt und optimiert sowie im laufenden Einsatz ständig kontrolliert werden.
Nehmen wir dazu ein einfaches Beispiel, etwa eine Anordnung von 300 Pflanzen in einer klimatisierten Wachstumskammer. Diese 300 Pflanzen werden zufällig in 10 gleich große Behandlungsgruppen zu je 30 Pflanzen aufgeteilt. In einem typischen Experiment werden dann die Pflanzen jeder dieser Gruppen mit unterschiedlichen Homöopathika und Kontrollproben behandelt. So werden etwa die 30 Pflanzen der ersten Gruppe mit Arnika C30 behandelt, die 30 Pflanzen der zweiten Gruppe mit Belladonna C30, die dritte Gruppe mit Wasser C30 als Kontrolle usw. Nach einer bestimmten Zeit, zum Beispiel zwei Wochen, werden alle Pflanzen geerntet und vermessen, etwa die Länge, das Gewicht, die Anzahl Blätter etc.
In unserem Vorgespräch erklärten Sie mir, dass solch ein Testsystem zunächst selbst getestet und auf seine Eignung als Testsystem hin untersucht werden muss. Wie macht man so etwas?
Dr. Stephan Baumgartner: Bevor wir ein Testsystem zu Forschungszwecken einsetzen, führen wir zum Test des experimentellen Aufbaus sogenannte systematische Negativkontrollexperimente durch. In solchen Experimenten werden alle 300 Pflanzen identisch behandelt, z.B. mit verschütteltem Wasser. Wenn sich dann trotzdem Unterschiede zwischen den Gruppen ergeben, liegt ein sogenannter systematischer Fehler vor.
In diesen Fällen muss durch eine Veränderung des experimentellen Aufbaus Abhilfe geschaffen werden, zum Beispiel durch eine gleichmäßigere Beleuchtung oder eine bessere Luftzirkulation. Erst wenn durch solche Kontrollversuche sichergestellt ist, dass die Experimente frei von Artefakten sind, werden die Effekte homöopathischer Präparate untersucht. Da sich zudem die experimentellen Bedingungen im Laufe der Zeit ändern können – so nimmt zum Beispiel die Lichtstärke von Leuchtstoffröhren im Laufe der Zeit ab – führen wir auch zwischendurch immer wieder solche Negativkontrollexperimente durch.
Wie schützen Sie sich vor Beeinflussungen durch die Experimentatoren?
Dr. Stephan Baumgartner: Eine zusätzliche Sicherheitsmaßnahme ist die Verblindung der experimentellen Gruppen durch eine Person, die bei den Experimenten nicht beteiligt ist. Hierbei werden die Behandlungsgruppen mit einem Code versehen, zum Beispiel X1 anstelle von Arnika C30. Damit wird sichergestellt, dass die Experimente nicht durch eine bewusste oder unterbewusste Voreingenommenheit des Experimentators verfälscht werden, weder bei den Behandlungen noch bei den Messungen.
Das Ziel all dieser Anstrengungen ist, ein möglichst objektives Bild der Effekte homöopathisch potenzierter Substanzen zu erhalten und Artefakte so gut wie möglich ausschließen zu können.
Ihre Schilderungen klingen so, als ob sehr viel vorbereitende Forschungsarbeit erforderlich ist, bevor Sie mit den eigentlichen Experimenten beginnen können.
Dr. Stephan Baumgartner: Ja, das ist in der Tat der Fall.
Sie hatten vorhin erwähnt, dass physikalische Messungen reproduzierbar sein müssen. Wie sieht es mit der Reproduzierbarkeit von Experimenten der homöopathischen Grundlagenforschung aus?
Dr. Stephan Baumgartner: Man kann sagen, dass Reproduktionen von Experimenten in den Experimentalwissenschaften eine wichtige Technik sind, sowohl um Artefakte zu identifizieren als auch um der Natur und den Kausalverhältnissen von beobachteten Effekten auf die Spur zu kommen. Hierzu gehören sowohl laborinterne als auch laborexterne Reproduktionen.
Bei laborinternen Reproduktionen wird dasselbe Experiment mehrfach wiederholt, um zu testen, ob sich ein Effekt immer zeigt oder nur manchmal. Wenn letzteres der Fall ist, beginnt eine meistens aufwendige und zeitintensive Suche nach möglichen Ursachen.
Bei laborexternen Wiederholungen ist es ähnlich. Hier versucht man ein Experiment in einem anderen Labor nachzuvollziehen. Bei erfolgloser Reproduktion ist auch hier die Suche nach möglichen Gründen angesagt. In weiteren Schritten beginnt man dann, verschiedene Randbedingungen der Experimente zu variieren, um zu bestimmen, welche Faktoren die Ergebnisse der Experimente beeinflussen und welche nicht, um so die für diesen Fall spezifischen Kausalverhältnisse zu bestimmen.
In neuen Forschungsgebieten ist dies eine langwierige und aufwendige Arbeit. Im Bereich der Elektrizitätslehre dauerte das beispielsweise viele Jahrzehnte.
Ich habe von Ihnen gelernt, dass negative oder andere Versuchsergebnisse bei der Reproduktion von Experimenten nicht automatisch bedeuten, dass ein Experiment gescheitert ist. Warum?
Dr. Stephan Baumgartner: Wenn sich die Resultate eines bestimmten Experiments nicht reproduzieren lassen, dann kann das sehr viele verschiedene Gründe haben.
Eine Möglichkeit ist, dass sich beim Ausgangsexperiment ein Störfaktor eingeschlichen hat, der zu einem sogenannt falsch-positiven Resultat, einem Artefakt, geführt hat, was sich dann bei Reproduktionen nicht bestätigen lässt.
Eine andere Möglichkeit ist die, dass bei der Reproduktion andere Bedingungen herrschten, die aber für das Zustandekommen des Effektes notwendig sind, deren Bedeutung der Experimentator aber noch nicht kennt. Beispielsweise sind verschiedene Experimente aus dem Bereich der Elektrostatik stark von der Luftfeuchtigkeit oder von bestimmten Materialeigenschaften abhängig. Dies hat dazu geführt, dass Experimente im Bereich der Elektrostatik für eine lange Zeit nur schwierig zu reproduzieren waren. Diese Situation änderte sich erst, als die Wissenschaft die Bedeutung dieser Faktoren erkannte. In der Forschung mit homöopathischen Präparaten kann beispielsweise die Saatgutqualität der Pflanzen, welche als Untersuchungsorganismen für die Potenzen eingesetzt werden, ein wichtiger Faktor sein.
Eine weitere Möglichkeit ist die, dass sich bestimmte Vorgänge aus der Natur der Sache heraus nicht reproduzierbar verhalten, wie zum Beispiel die Schwingungen eines Doppelpendels oder bestimmte Effekte der Quantenphysik. Die Nicht-Reproduzierbarkeit dieser Phänomene hat aber nicht zur Folge, dass sie nicht wissenschaftlich erfassbar wären. Sie benötigen nur etwas andere wissenschaftliche Methoden und Theorien zu ihrer Beschreibung und ihrem Verständnis.
Exkurs: Beispiel für ein nicht reproduzierbares Phänomen
GIF-Animation: Wikipedia
Nicht reproduzierbares Experiment:
Die Bewegung eines normalen Pendels lässt sich experimentell reproduzieren. Die Bewegung eines Doppelpendels stellt hingegen ein chaotisches System dar, das instabile Gleichgewichtszustände einnehmen kann. Aus diesem Grunde lässt sich die Bewegung eines Doppelpendels experimentell nicht zuverlässig reproduzieren.
An dieser Stelle endet Teil 2 des Interviews mit Dr. Stephan Baumgartner. Teil 3 finden Sie über diesen Link …
Dr. sc. nat. Stephan Baumgartner:
Geboren 1965. Studium der Physik, Mathematik und Astronomie an der Universität Basel. Doktorat in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich. Post-Doc in der Abteilung Umweltphysik der EAWAG, Dübendorf. Seit 1996 Mitarbeiter in der Abteilung Grundlagenforschung im Institut Hiscia, Verein für Krebsforschung, Arlesheim, sowie an der Kollegialen Instanz für Komplementärmedizin (IKOM) der Universität Bern (je 50%). Aufbau der Abteilung Grundlagenforschung Anthroposophische Medizin und Homöopathie an der IKOM. Seit 2009 Dozent an der Universität Bern.
Beitragsbild: © University of Bern / KIKOM and Research Institute of Organic Agriculture FiBL
Quellen
–Claudia Witt, Physikalische Untersuchung homöopathischer Hochpotenzen, 2000 (PDF)